Das ukrainische Haus in Przemyśl

Es ist nicht nur ein Gebäude mit schönen Innenräumen. Es sind Menschen, eine Idee, eine unglaubliche Geschichte.

Die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in Galizien war eine Zeit, in der die ukrainische Gemeinschaft Narodne Domy, moderne ukrainische kulturelle, Bildungs- und Bürgerzentren, errichtete. Auch in Przemyśl beschloss die ukrainische Gemeinschaft, ein solches Zentrum zu errichten.

Der Anführer der Przemyśl-Ukrainer war damals Dr. Teofil Kormosz. Dank seiner organisatorischen Fähigkeiten wurde 1904 im Zentrum von Przemyśl mit Spenden der ukrainischen Gemeinschaft der Narodnyj Dim – das ukrainische Haus - erbaut. Das Haus war die "Visitenkarte" der Ukrainer und zeugte von ihrem großen Potenzial und Engagement.

Ukrainische Häuser entstanden unter anderem in Lemberg, Stryj, Tarnopol und Kolomyja. Der Bau dauerte von mehreren Jahren bis zu sogar 15 Jahren. In Przemyśl: nur 15 Monate vergingen von der Grundsteinlegung bis zur feierlichen Eröffnung. Das ukrainische Narodnyj Dim in Przemyśl war so prächtig, modern und wunderschön gestaltet, dass es als „Perle an der San“ bezeichnet wurde.

Es war ein Ort, der ständig Bewohner und Bewohnerinnen anlockte, nicht nur aus der ukrainischen Gemeinschaft. Hier fanden Konzerte, Aufführungen, Schulungen, Proben und Jugendtreffen statt. Es gab eine Bibliothek und einen Süßigkeitenladen.

Das Herz des Gebäudes ist der wunderschön verzierte Theatersaal mit Ornamenten aus verschiedenen Regionen der Ukraine. Auf seiner Bühne traten unter anderem Ivan Franko, Salomea Kruszelnicka, Leś Kurbas und Modest Męciński auf. Hier befand sich auch das Kino „Apollo“.

Das Haus war ein Ort lebhafter bürgerschaftlicher Aktivitäten und kultureller Aktivitäten bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Nach dem Krieg, Vertreibungen, Emigration der ukrainischen Bewohner aus der Stadt und der Region, stand das ukrainische Leben in Przemyśl still. Im Jahr 1947 wurde das ukrainische Haus in Przemyśl von den kommunistischen Behörden der bereits dezimierten ukrainischen Gemeinschaft entzogen. Das einst lebhafte Zentrum verwaiste. Nach mehreren Jahren begannen einige Ukrainer aus der Vertreibung nach Przemyśl zurückzukehren. Sie wollten dort Leben, wo einst ihre Vorfahren lebten. Das ukrainische Haus zog sie wie ein Magnet an, seine Geschichte, die Erinnerung an vergangene Zeiten und die Hoffnung auf die Wiederbelebung des ukrainischen Gemeinschaftslebens.

Gegen Ende der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts begannen die Ukrainer in Przemyśl, sich um die Rückgabe des Ukrainischen Hauses zu bemühen, ohne zu wissen, wie langwierig und schwierig der Prozess sein würde. Als sie erkannten, dass die kommunistische Macht ihnen das Haus nicht zurückgeben wollte, begannen sie, einige Räume darin zu mieten, um einen möglichst großen Teil vor der Zerstörung zu bewahren. Gleichzeitig setzten sie sich weiterhin für die Rückgabe des Narodnyj Dim ein und füllten das Gebäude mit Inhalten, dem Wunsch zu handeln und zu gestalten. Das Haus wurde wieder zu einem Ort der Begegnung, Integration und kulturellen Aktivität.

Narodnyj Dim - das Ukrainische Haus - kehrte nach 64 Jahren wieder zur ukrainischen Gemeinschaft zurück. Im Jahr 2011 kaufte der Verband der Ukrainer in Polen das Gebäude für 1% seines Werts. Drei Generationen der ukrainischen Gemeinschaft in Polen schützten diesen für sie wichtigen Ort, belebten ihn wieder und lebten in der Hoffnung, dass sie schließlich die Gastgeber in ihrem eigenen Haus sein würden. Einige haben diesen Moment nicht mehr erlebt.

Nach der Rückeroberung des Gebäudes wurde beschlossen, eine umfassende Renovierung durchzuführen – von der Grundsanierung bis zur Modernisierung, von den Fundamenten bis zum Dach, damit es weitere lange Jahre dienen kann. Bei der Renovierung versuchen wir, so viel wie möglich von seiner historischen Substanz zu erhalten. Parallel zur Renovierung füllt sich das Haus mit Leben: Treffen, Konzerte, Konferenzen, Präsentationen, Proben. Es lebt: Es spricht, singt, erzählt, tanzt. Es verbindet. Es ist ein Zentrum der ukrainischen Kultur, Integration, Dialog und informellen Bildung, offen für alle Bewohner.

Nach dem 22. Februar 2022 öffnete das Haus seine Türen auch für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Sein schönes Herz – der Theatersaal war ein Ort der Erholung für Tausende von Menschen, die vor dem Krieg Schutz suchten. Bis heute ist es ein Zentrum, das Hilfe und Unterstützung für Flüchtlinge leistet. Natürlich führen wir weiterhin kulturelle, pädagogische und integrative Aktivitäten durch. Vor uns liegen weitere Etappen der Renovierung, darunter: der Theatersaal, der Keller und die Fassade. Wir träumen davon, es zu renovieren, um sein volles Potenzial und seine Möglichkeiten voll auszuschöpfen.

Narodnyj Dim – das Ukrainische Haus in Przemyśl – ist nicht nur ein Gebäude mit schönen Innenräumen. Es sind Menschen, eine Idee, eine unglaubliche Geschichte. Und die Zukunft.